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Christen heute, März 2023   

Klimawandel: Was erwartet unsere Kinder?

 „Die unbewohnbare Erde“: So lautete der Titel eines Buchs, in dem der US-amerikanische Wissenschafts-Journalist David Wallace-Wells 2019 vor den Gefahren des Klimawandels warnte (Christen heute 9/2019). 

Am 26. Oktober 2022 gab derselbe Autor in der New York Times teilweise Entwarnung: Das schlimmste Klima-Szenario ist unwahrscheinlicher geworden. Zwar steigen die Treibhausgas-Emissionen in einem alarmierenden Ausmaß weiter. Aber wenn die Maßnahmen umgesetzt werden, die die Regierungen bereits rechtlich verbindlich beschlossen haben, dann landen wir bei einer Erderwärmung nicht mehr von 4 bis 5 °C, sondern von 2 bis 3 °C.

Das wäre zwar immer noch schrecklich. Aber die Gefahr einer Auslöschung der gesamten Menschheit wäre wohl abgewendet. Und dass ab zwei Grad Erderwärmung sich die Erde unkontrollierbar immer weiter aufheizen würde, wie man noch vor wenigen Jahren befürchtete: Das ist in der Klimaforschung heute offenbar nicht mehr Konsens.

Es besteht also Hoffnung. Daran musste ich immer wieder denken, wenn ich in den Nachrichten von den Blockade-Aktionen der Letzten Generation las. Verzweifelt kleben sie sich auf Straßen fest, besetzen Startbahnen und drehen Ölpipelines ab, weil sie dem Gang in die Klima-Katastrophe nicht tatenlos zusehen wollen. Ist da etwas an den Aktivistinnen und Aktivisten vorbeigegangen? Sind sie noch auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft?

Leider ja. Bei näherem Zusehen zeigt sich: Im Großen und Ganzen schätzt die Letzte Generation die Lage nicht viel anders ein als Wallace-Wells.

 

Auf dem Weg in die Zwei-Grad-Welt

Auf den Pressekonferenzen der Letzten Generation skizzieren Wissenschaftlerinnen von Scientists for Future den aktuellen Stand der Klimaforschung: Wegen Hitze unbewohnbar sind heute 0,8 % der Erdoberfläche. Bei einem Zwei-Grad-Szenario werden es innerhalb weniger Jahrzehnte 20 % sein. Weitere Lebensräume werden in den Meeresfluten untergehen. Öko-Systeme werden kollabieren, mit verheerenden Folgen für die Ernährungslage der Menschheit. Bis zu drei Milliarden Menschen werden fliehen müssen. Überschrittene Kipppunkte werden die Lage weiter verschärfen.

Genau deshalb beteuern ja auch Regierungen weltweit, dass sie die Erderwärmung unter zwei Grad halten wollen. Das aber ist angesichts der heutigen politischen und gesellschaftlichen Trägheit extrem unwahrscheinlich. Deutschland müsste dafür seinen Anteil zur Einhaltung des Pariser Abkommens beitragen. Die Regierung weiß, was sie dafür tun müsste. Aber sie tut es nicht: Schon das Klimaziel, auf das sie sich verpflichtet hat – Klimaneutralität bis 2045 – ist zu schwach. Denn 1,5 Grad heißer wird die Welt bereits 15 Jahre vorher sein, wenn wir jetzt nicht das Notwendige tun. Und sogar für dieses schwache Klimaziel unternimmt die Regierung bisher nicht die nötigen Schritte. Das ist kriminell, klagt die Letzte Generation. Denn unsere Verfassung gebietet es der Regierung, die Lebenschancen künftiger Generationen zu schützen.

Habecks Verbeugung vor den katarischen Gas-Scheichs ist zum Sinnbild geworden: Die Umstellung von der einen auf die andere klimaschädliche Energie schafft diese Regierung in Rekordzeit. Es mag ja sein, dass sie angesichts von Putins verbrecherischem Angriffskrieg keine andere Wahl hat. Aber warum geht das nicht auch bei der Energiewende? Ist die Abwendung der Klimakatastrophe weniger dringend?

 

Zu langsam, zu wenig

Nachdenklich gestimmt, blicke ich aus dem Fenster: Über die Straße donnern wie eh und je die Verbrenner-Autos. Wo ich auch hinsehe: dunkle Ziegeldächer, die die Sonnenwärme aufsaugen, statt sie abzustrahlen. Keine Solaranlage weit und breit. Dort drüben, keine 50 Kilometer von unserer Wohnung entfernt, liegt Lützerath, das Dorf, das mit dem Segen der Grünen der Braunkohle geopfert wird – der klimaschädlichsten Energieform, die wir haben. Was ist das Versprechen wert, dafür den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen? Welche Gründe wird es 2030 geben, um das Notwendige wieder zu verschieben?

Ist Wallace-Wells zu optimistisch? Seine Prognose, dass wir wahrscheinlich wenigstens unter drei Grad bleiben werden, basiert auf Gesetzen, die zwar verabschiedet, aber noch nicht umgesetzt sind. Wenn aber sogar eine deutsche Bundesregierung mit grüner Beteiligung ihre eigenen Klima-Vorhaben nicht realisiert: Woher nehmen wir die Zuversicht, dass andere Regierungen es besser machen werden?

Haben die Klima-Aktivistinnen also recht, wenn sie an der Politik verzweifeln?

 

Wie lässt sich mehr Klimaschutz durchsetzen?

Den Mut der Verzweiflung haben die Aktivistinnen der Letzten Generation jedenfalls. Täglich bekommen sie Morddrohungen. Aber ihre Bewegung wächst. Und sie ist nicht allein: Weltweit versuchen ähnliche Bewegungen, mit Mitteln des friedlichen Widerstands die Politik zum Handeln zu bewegen.

Was können sie mit ihren Protestaktionen erreichen? In einer Demokratie wird die Politik nur handeln, wenn sie die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich weiß. Nun haben wir in Deutschland durchaus eine Mehrheit für mehr Klimaschutz. Was jedoch noch fehlt, ist die Bereitschaft, dafür persönliche Einschränkungen auf sich zu nehmen. Das dürfte teilweise daran liegen, dass Politikerinnen aller Parteien so tun, als ob sich das Klima retten ließe, ohne dass irgendjemand auf irgendetwas verzichtet. Aber auch daran, dass wir die Bereitschaft zum Verzicht bei den anderen vermissen. Und das könnte sich bald ändern.

Was alles möglich ist, sobald die Mehrheit den Ernst der Lage verstanden hat, haben wir gesehen, als die Corona-Pandemie ausbrach. Damals zeigten Umfragen, dass die meisten Menschen bereit sind, um der Gesundheit willen vorübergehende Einschränkungen auf sich zu nehmen. Und siehe da: Die Politik hat entschlossener gehandelt, als man ihr zugetraut hätte.

Wir brauchen also eine Mehrheit für Konsequenz im Klimaschutz. Wie gewinnt man die? Indem man sich auf Autobahnen festklebt? Das ist eine Frage, auf die die Aktivisten mit einer Gegenfrage antworten: Hat jemand eine bessere Idee?

 

Die Energierevolution

Stellen wir uns vor, jemand hätte eine bessere Idee, und sie wäre erfolgreich, sprich: Regierung und Bevölkerung ließen sich dafür gewinnen, das Klima zu retten, egal was es kostet. Was müssten wir konkret tun?

Das beste Video, das ich zu diesem Thema gefunden habe, ist ein Vortrag des Ingenieurwissenschaftlers (Buchtitel: „Energierevolution jetzt“) Volker Quaschning: Zeitenwende & Klimakrise – Warum wir JETZT eine Energierevolution brauchen.

Quaschning traut uns zu, dass wir unter zwei Grad bleiben können, wenn wir jetzt das Notwendige tun. Für uns in Deutschland würde das bedeuten:

  • Wind- und Solarenergie massiv ausbauen. Die Atomkraft-Debatte können wir uns sparen, weil niemand in Deutschland die etwa 100 Atomkraftwerke bauen will, die für einen signifikanten Beitrag nötig wären.

  • Wärmedämmung. Umstellung der Heizwärme von Gas und Öl auf Wärmepumpe.

  • Neue Verbrenner-Autos spätestens 2025 verbieten. E-Fuels werden teuer und Mangelware bleiben, deshalb können sie das Verbrenner-Auto nicht retten.

  • Zahl der Autos mindestens halbieren, dafür den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Wo Autos noch erforderlich sind, auf Elektro umstellen.

  • Flüge auf einen Bruchteil reduzieren, die unvermeidlichen Flugzeuge sehr bald nur noch mit E-Fuels betanken.

  • Den Fleischkonsum reduzieren, deutschlandweit auf höchstens die Hälfte der heutigen Mengen.

  • Den – teuren und ineffizienten – grünen Wasserstoff nur da einsetzen, wo er alternativlos ist: insbesondere in der Stahlproduktion, der chemischen Industrie, der Schifffahrt sowie für saisonale Speicher, die die erneuerbaren Energien auch in wind- und sonnenarmen Zeiten verfügbar halten.

Wo immer möglich, müsste zudem Beton und Stahl im Bau ersetzt werden durch Holz und Bambus (Schellnhuber). Alle erforderlichen Techniken stehen bereit. Was fehlt, ist vor allem der politische Wille, in der Politik, aber auch in der Gesellschaft.

Die Journalistin Ulrike Herrmann sieht ein weiteres Hindernis: Klimaneutralität sei mit unserem Wirtschaftssystem unvereinbar. Denn wie sehr wir die Erneuerbaren Energien auch ausbauen mögen – für weiteres, gar unbegrenztes Wirtschaftswachstum werden sie nicht reichen. In „Das Ende des Kapitalismus“ (2022) macht sie sich deshalb Gedanken darüber, wie der Umbau von einer Wirtschaft unter Wachstumszwang auf eine schrumpfende Kreislauf-Wirtschaft sozialverträglich gelingen könnte.

Was können wir als Einzelne bewirken? Macht es einen Unterschied, wenn wir auf Urlaubsflüge verzichten, weniger Auto fahren, weniger Fleisch und Milchprodukte konsumieren, geschäftlich mit der Bahn statt dem Flieger reisen und weniger heizen?

Nein, wenn nur einer oder eine es tut – ja, wenn viele es tun. Und immer mehr Menschen in Deutschland sind bereit dazu. Sie wollen nicht länger so leben, als hätten wir drei Planeten zur Verfügung. Immer mehr machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und möchten deshalb die Grenzen respektieren, die uns durch die natürlichen Ressourcen gesetzt sind.

 

Mehr Lebensqualität

Wie viel wohler wäre mir, wenn ich wüsste, dass wir unseren Nachkommen keine Klimahölle hinterlassen. Auch das ist Lebensqualität. Möglich wäre es. Zwar sind die Herausforderungen riesig. Aber bedenken wir: Innerhalb weniger Jahre haben die Regierungen verbindlich Maßnahmen beschlossen, die die Erderwärmung von ungefähr 5 auf unter 3 Grad senken würden. Warum sollten wir in den nächsten Jahren nicht noch mehr erreichen? Zumal das Problem fast allen bewusst ist und unzählige Menschen an Lösungen für mehr Klimaschutz arbeiten.

Mit meinen 61 Jahren gehöre ich zu der Generation, die wohl den größten Anteil an der aktuellen Klimakrise hat. 1991 hätten wir schon längst wissen können, was da auf uns zukommt, wenn wir nicht gegensteuern. Und doch haben wir seitdem mehr als die Hälfte des Kohlendioxids emittiert, das sich seit 1750 in der Erdatmosphäre angereichert hat.

Ich werde mit etwas Glück wohl auch dann einen ruhigen Lebensabend verbringen können, wenn wir weiter ungebremst in die Drei-Grad-Welt rasen. Aber die jungen Leute, die sich heute auf der Straße festkleben: Die würden in ihrem Rentenalter von einer Katastrophe in die nächste schlittern, in einer dystopischen Welt, geprägt von Dürren, Überschwemmungen, Hitzewellen und Missernten, mit kollabierenden Gesellschaften und vielen Putins gleichzeitig in grausamen Kriegen um knappe Ressourcen.

Deshalb ist mir nicht danach zumute, der Letzten Generation irgendwelche Vorhaltungen zu machen. Was ich mir stattdessen wünsche: Dass die Letzte Generation bald keinen Grund mehr hat für ihre verzweifelten Aktionen. Weil die Regierung sich endlich entschließt, alles zu tun, was nötig ist, damit Deutschland wie versprochen seinen Anteil an der Erreichung des 1,5-Grad-Ziels leistet.

Dafür bräuchte die Regierung allerdings den Druck und den Rückhalt der Bevölkerungsmehrheit. Sind Sie dabei?