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Christen heute, April 2015

Bin ich Charlie?

„Ich bin Charlie“ – diesen Ruf habe ich in den Tagen nach den Pariser Terror-Anschlägen im Januar verstanden als Ausdruck von Trauer, Wut und Entschlossenheit, sich gegen den Terror zu wehren. Und weil ich diese Gefühle teile, wollte ich diesem Ruf nicht widersprechen. Auch heute – ich schreibe dies Anfang März – möchte nicht herumtrampeln auf den Gefühlen derer, die sich mit diesem Satz identifizieren. Aber, bei allem Respekt und Mitgefühl: Zu eigen machen kann ich mir diesen Satz nicht, und ich möchte hier mitteilen warum.

 

Jetzt erst recht?

Nach dem brutalen Mord an ihren Freunden sagten sich die überlebenden Redakteure von „Charlie Hebdo“ in ihrem Schmerz und in ihrer Empörung: Jetzt erst recht. Was lag aus ihrer Sicht näher, als rasch eine neue Ausgabe von „Charlie Hebdo“ zu veröffentlichen, mit einem Titel, der die Terror-Paten zur Weißglut treiben musste. Sie waren es ihren Freunden schuldig, und der Freiheit, für die sie gestorben waren. Wie – so mögen die Überlebenden gedacht haben – könnten sie den Terroristen eindrucksvoller demonstrieren, dass ihre Gewalt sinnlos ist, als indem sie für die massenhafte Verbreitung einer Mohammed-Karikatur sorgen, die ohne ebendiese Gewalt kaum jemanden interessiert hätte?

Das aber bedeutet: Redakteure eines Satiremagazins versuchten, via Öffentlichkeit mit Terroristen zu kommunizieren. Kann das funktionieren? Ich glaube nicht daran. Die Strippenzieher des Terrors lachen sich ins Fäustchen: Die westliche Öffentlichkeit ist in ihre Falle getappt. Ein Klima ist entstanden, in dem es geradezu als moralische Pflicht gilt, die religiösen Gefühle von Muslimen zu verhöhnen. Wütende Proteste in der islamischen Welt gegen den Charlie-Hebdo-Titel fordern weitere Tote. Für die Terror-Strategen sind das gute Nachrichten. Endlich tritt – so sehen sie es wohl – die Unvereinbarkeit von westlichen und muslimischen Werten offen zutage. Die westlichen Gesellschaften nehmen Kurs auf die herbeigesehnte Polarisierung. Fazit der Terror-Paten: Die Anschläge haben sich gelohnt.

Nun macht das Bekenntnis zahlreicher Muslime gegen Gewalt und für Toleranz und Meinungsfreiheit den Terroristen einen dicken Strich durch die Rechnung. Wenn es jemanden gibt, der wenigsten die noch schwankenden Terror-Sympathisanten umstimmen kann, dann sind es diese Muslime. Und nicht etwa die blasphemischen Satiriker. Deren absurderweise an unbelehrbare Terroristen gerichtete Kommunikation wirft bei mir die Frage auf: Wie wirkt diese Kommunikation auf die friedlichen Muslime, die unter uns leben und die als Flüchtlinge zu uns kommen? Wenn wir ihre Gefühle ignorieren, liefern wir Munition für die Propagandisten des Terrors: „So lange ihr friedlich seid,“ können sie den friedlichen Muslimen sagen, „interessieren eure Gefühle niemanden. Wenn ihr respektiert werden wollt, müsst ihr zur Waffe greifen.“

Auf diese Gefahr kann es nur eine Antwort geben: Wir müssen auf die Muslime unter uns zugehen und uns einsetzen für ein Klima von gegenseitigem Wohlwollen und Respekt. Das aber erreichen wir nicht, indem wir vor ihren Nasen mit Mohammed-Karikaturen herumfuchteln.

 

Wie wollen wir miteinander umgehen?

Mir geht es hier nicht um staatliche Verbote. Mir geht es darum, meine eigene Haltung klar zu machen: Ich für meine Person möchte ein Mensch sein, von dem Menschen egal welchen Glaubens keine Beleidigungen zu erwarten haben, sondern Einfühlung, Freundlichkeit und Respekt. Nicht, dass ich keine kritischen Fragen hätte. In welcher Form soll ich sie vorbringen? Ich weiß es nicht. Nicht, wenn es um Fragen an eine Kultur und Religion geht, mit der ich nicht vertraut bin. Ich weiß nur: Ohne Rücksicht und Einfühlung möchte ich nicht kommunizieren. Mohammed-Karikaturen vertragen sich damit nicht.

Zwar ist es wahr: Meinungsfreiheit gibt es nur so lange, wie Menschen mit unterschiedlicher Meinung einander weh tun dürfen. Aber das heißt nicht, dass es keine Menschen und Medien geben dürfte, die bestimmte Dinge nicht sagen und zeigen. Der Christ, der seine Kirchenzeitung aufschlägt, begibt sich in einen medialen Raum, in dem er vor blasphemischen und pornographischen Darstellungen sicher ist. Auch Muslime brauchen solche medialen Räume. Sollen sie diese nur unter Ihresgleichen finden? Wäre das nicht traurig? Ist es nicht zu begrüßen, dass es auch religionsübergreifende Medien gibt, die auf die Gefühle von Muslimen Rücksicht nehmen?

Dann aber muss es in Ordnung sein, dass es auch Menschen und Medien gibt, die sich den Satz „Ich bin Charlie“ nicht zu eigen machen. Denn bei allem Respekt vor der Trauer, Wut und Solidarität, die sich in diesem Satz ausdrücken: „Ich bin Charlie“ – das kann auch verstanden werden als: „Ich respektiere deine religiösen Gefühle nicht.“ Das ist ein Signal, das ich nicht senden will.

 

Gregor Bauer