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Christen heute, Mai 2016  

Epikur: Dieses Leben zählt

Wie kam eigentlich Marx auf die Idee, die Religion mit Opium zu vergleichen: mit einer Droge also, die alles Schmerzhafte ausblendet? Und das im 19. Jahrhundert? War damals die Religion nicht das genaue Gegenteil: eine Drohung nämlich mit der Ausweitung alles Schmerzhaften auf die ewige Verdammnis?

Wenn schon, dann würde der Vergleich mit Opium doch wohl eher auf eine Jenseitsvorstellung passen, die in der christlichen Welt erst seit wenigen Jahrzehnten eine Rolle spielt: dass nur die Freude, nicht aber das Leid seine jenseitige Entsprechung hat.

Raum greifen konnte diese ausschließlich positive Jenseitserwartung wohl erst, seit Leid und Tod im öffentlichen Leben weitgehend zurückgedrängt wurden: durch eine längere Lebenserwartung, eine immer bessere Verfügbarkeit von Schmerzmitteln und Psychopharmaka, das Outsourcen von Krankheit, Alter und Behinderung in Kliniken und Heime. Als Leid und Tod noch stärker im öffentlichen Leben präsent waren, stellten sich die Menschen das Jenseits anders vor: sei es als freudloses Schattendasein, sei es als eine Welt, in der gute Taten ihren Lohn, aber eben auch schlechte ihre Strafe finden.

Solche Vorstellungen versetzen Menschen in maßlose Angst, beobachtete Epikur (341 – 271 v. Chr.). Daher glaubte er, eine frohe Botschaft zu verkünden, als er seinen Anhängern – und Anhängerinnen – predigte: Unser Bewusstsein endet mit dem Tod.

Die Götter: befreiend gleichgültig

Um diese Botschaft zu untermauern, versuchte sich Epikur in physikalischen Beweisen und komplimentierte die Götter ins Aus: Götter, argumentierte er, sind zu perfekt, als dass sie sich mit uns abgeben würden. Daher sind von ihnen keine Strafen zu erwarten. Hilfe freilich ebenso wenig. Aber göttlichen Beistand brauchen wir auch nicht. Wir kommen wunderbar alleine klar, wenn wir uns an vier Einsichten halten:

1. An den Göttern ist nichts Beunruhigendes.

2. Es gibt keinen Grund, sich vor dem Tod zu fürchten.

3. Was wir brauchen, ist leicht zu verschaffen.

4. Was wir fürchten, ist leicht zu ertragen.

 

Man muss das Jenseits nicht leugnen, um sich an solchen Gedanken aufzurichten. Tatsächlich hat die epikureische Lebenshilfe viel gemeinsam mit ihren metaphysisch orientierten Gegenspielern, den Stoikern.

Die Jenseitserwartung: eine Frage des Naturells

Was freilich die Streichung der Jenseitserwartung angeht: Die kann nur den – oder die – trösten, den das Nichts nicht schreckt. Und das ist wohl am Ende keine Frage rationaler Argumente – die Epikur durchaus vorlegt –, sondern des Naturells.

Wahrscheinlich gab es immer schon Menschen, für die der Gedanken an ein endgültiges Aus im Tod nichts Furcht erregendes hat – und solche, die denselben Gedanken unerträglich finden.

Die letzteren haben den Jenseitsleugnern immer wieder vorgehalten: „Ihr nehmt den Menschen die Moral. Warum sollte ein Mensch moralisch handeln, wenn ihn nach dem Tod keine ausgleichende Gerechtigkeit erwartet?“

Dagegen zeugt Epikurs rein diesseitig begründete Moral des Maßhaltens, der Achtsamkeit und der Mitmenschlichkeit. Eine anspruchsvolle Moral, aufgebaut – wenn man so will – auf das Lustprinzip. Doch folgt demselben Prinzip nicht auch, wer ewige Höllenqualen meidet und ewige Himmelslust sucht?

Aus dem Jenseitsglauben eine moralische Überlegenheit abzuleiten, ist fragwürdig, zumal in Zeiten religiös motivierter Gewalt. Wir sollten einem Epikureer nicht absprechen, dass auch er als ein anständiger Mensch durchs Leben gehen will. Wenn das Leben nach dem Tod weitergeht, dann wird er das früh genug merken. In der Zwischenzeit können wir von den Epikureern lernen, dieses Leben so zu schätzen, als wäre es das einzige. Das wird uns in jenem Leben bestimmt nicht schaden.

 

Gregor Bauer