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Christen heute, Oktober 2016

Erosion des Glaubens

Sehr sympathisch hat unser Bischof Matthias Ring in seinem Hirtenbrief „Ich + Wir“ das Verhältnis von persönlichem und kirchlichem Glauben skizziert: Beide sollen aufeinander bezogen, sie müssen aber nicht deckungsgleich sein. Ich nehme das zum Anlass, mir drei Fragen zu stellen: Was lehrt meine Kirche? Was glaube ich? Wie verhält sich beides zueinander?

 

Was lehrt meine Kirche?

Meine Kirche lehrt die allgemein anerkannten Glaubensbekenntnisse und Konzilsentscheidungen des ersten Jahrtausends. Aber was bedeutet das? Lehrt die Kirche beispielsweise wirklich, Jesus Christus sei „geboren von der Jungfrau Maria“, wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt?

Ja, lautet eine geläufige Antwort, nur sei diese Aussage natürlich nicht biologisch zu verstehen. Genau so war sie ursprünglich aber sehr wohl gemeint. Nun mag dieses Dogma eher unwichtig sein. Aber wenn die Kirche einerseits daran festhält, es aber andererseits so vage interpretiert, dass es inhaltsleer wird: Warum sollte sie das anders halten mit Glaubenssätzen wie: Christus ist auferstanden? Dass uns ein ewiges Leben erwarte: Warum sollte nicht auch das metaphorisch gemeint sein?

Die Dogmen gelten unverrückbar, aber sie können alles und nichts bedeuten: Mit diesem Katz-und-Maus-Spiel beschleunigen die Theologen die Erosion des Glaubens, die sie verhindern wollen. Meine Kirche: Was lehrt sie denn nun eigentlich im Ernst?

 

Was glaube ich?

Mein Glaube steht und fällt mit der Antwort auf die Frage: Gibt es Bewusstsein unabhängig von Hirnfunktionen?

Hochkarätige Wissenschaftler sagen heute: Das Bewusstsein ist das Gehirn. Ein Leben nach dem Tod ist deshalb ausgeschlossen. Und sie vertreten das nicht etwa als persönliche Meinung, sondern als mittlerweile zweifelsfrei bewiesene Tatsache. Wir wenden dann gerne ein, dass eine solche Aussage die Kompetenz der Naturwissenschaft überschreite. Aber reicht das heute noch?

Wenn Naturwissenschaftler mir erklären, dass die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod widerlegt sei: Was helfen mir da christliche Dogmen aus dem ersten Jahrtausend, wie auch immer interpretiert? Ich halte etwas anderes dagegen. Ich bekenne – und es kann an dieser Stelle nicht mehr als ein Bekenntnis sein: Es gibt Indizien für ein Bewusstsein unabhängig von Hirnfunktionen und für ein Leben nach dem Tod. Solche Indizien finde ich in Berichten Nahtoderfahrener, aber auch in anderen Berichten über Phänomene, die man „unerklärlich“ nennt. Natürlich behaupten Hirnforscher, sie könnten diese Phänomene – sofern sie sie anerkennen – erklären, heute oder in Zukunft. Aber ich glaube nicht, dass ihnen das jemals vollständig gelingt. Ich meine, es gibt Phänomene, die sich nicht erklären lassen. Nicht innerhalb des reduktionistischen Paradigmas, dass Bewusstsein ausschließlich in Abhängigkeit von Hirnfunktionen existiere.

 

Wie verhält sich beides zueinander?

Gibt es Bewusstsein ohne Hirnfunktionen? Auch der Glaube der Kirche steht und fällt mit der Antwort auf diese Frage. Fragen wir konkreter: Gibt es in der Welt, in der wir leben, Indizien für ein Bewusstsein ohne Hirnfunktionen? Die Auseinandersetzung darum wird heute mit sehr harten Bandagen geführt. Wo steht da meine Kirche? Ich kann mich täuschen, aber mein Eindruck ist: Sie hält sich aus dem Konflikt heraus. Dafür hätte sie gute Gründe: Sie hat sich in der Auseinandersetzung mit Wissenschaftlern schon genug schmerzhafte Niederlagen zugezogen. Und sie kann nicht von ihren Gläubigen erwarten, dass sie Phänomene anerkennen, die man „paranormal“ nennt. Das würde ich auch nicht wollen. Aber diese Zurückhaltung hat für mich eine Kehrseite: Für die Aufrechterhaltung meines Glaubens an Gott, an einen Sinn des Lebens und an ein Leben nach dem Tod spielt die Kirche keine Rolle mehr.

Meine Kirche bietet mir einen schönen Rahmen für gemeinsames Beten und Singen, wohltuende Anregungen und Geselligkeit, sie engagiert sich sozial und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dafür bin ich ihr dankbar. Auch fördert die Atmosphäre im Gottesdienst immerhin meine gefühlsmäßige Erwartung, dass es um uns Menschen mehr sein muss, als die reduktionistische Wissenschaft zugestehen will. Aber alles, was ich im Gottesdienst zu erahnen meine, lässt sich rein innerweltlich erklären. Die reduktionistische Wissenschaft behauptet, dass dies auf alles zutrifft, was Menschen überhaupt erfahren können. Wenn die Kirche ihr hier nicht widerspricht: Was kann sie dann zu meinem Glauben an eine transzendente Wirklichkeit noch beitragen?

Gregor Bauer