Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Christen heute, August 2019

Wie tickten die frühen Christen?

Gegenaufklärung, Gegenreformation, Mittelalter – nein danke: Viele von uns Altkatholischen suchen eine bessere Kirche in der Zeit vor dem Jahr 313, vor der Konstantinischen Wende also. Beeindruckt lesen sie in der Apostelgeschichte, dass die ersten Christen alles miteinander teilten. Und bei Paulus, dass in Christus alle Unterschiede aufgehoben seien zwischen Herr und Sklave, Jude und Grieche, Mann und Frau. Noch war es den patriarchalischen Kräften nicht gelungen, den Einfluss der Frauen in den Gemeinden zu unterdrücken. Noch hatten die Kleriker die Kirche nicht im Griff, wurden die unterschiedlichsten Lehrmeinungen frei diskutiert.

Entspricht dieses Bild der frühen Christenheit der historischen Realität? Wer mehr darüber erfahren möchte, dem – oder der – sei folgender Titel des Frankfurter Althistorikers Hartmut Leppin empfohlen:

  • Die frühen Christen. C.H.Beck München 2018, 512 Seiten, 29,95 € (auch als E-Book erhältlich)

Darin untersucht Leppin die Zeit von den Anfängen bis Konstantin. Als Christinnen und Christen lässt er alle gelten, die sich damals selbst so bezeichneten oder so bezeichnet wurden. Wertungen wie recht- oder irrgläubig übernimmt er nicht.

Wie also ging es zu bei den frühen Christinnen und Christen? Die folgenden Eindrücke aus meiner Lektüre sind subjektiv, sie geben Leppins Auffassungen nicht 1:1 wieder.

 

Vielfalt 

In der frühen Kirche gab es tatsächlich eine große Vielfalt unterschiedlichster Auffassungen. Doch mit den meisten davon können wir heute nicht mehr viel anfangen. Und wie die Meinungsverschiedenheiten damals ausgetragen wurden: Das hat wenig mit geschwisterlichem ökumenischem Dialog zu tun. Fremde Standpunkte galten als gefährliche Irrlehren, die nicht diskutiert, sondern ausgegrenzt werden mussten. 

 

Frauen 

Wie stand es mit den Rechten der Frauen in der frühen Kirche, mit ihrem Zugang zu Gemeindeämtern? Einige ermutigende Hinweise finden sich: Da ist die Apostelin Junia, die wahrscheinlich von einem späteren Abschreiber in einen „Junias“ umbenannt wurde. Oder die Märtyrerin Perpetua, die man mit ihren bewegenden Aufzeichnungen aus der Haft als Kirchenmutter neben die -väter stellen könnte. Es gab Diakoninnen und Prophetinnen. Sehr vereinzelt finden sich auf Inschriften auch Priesterinnen. Der Gesamteindruck jedoch ist bedrückend: An den Prophetinnen nahmen schon damals viele Anstoß, ihr Einfluss wurde zurückgedrängt zugunsten der Kleriker. Von einer Bischöfin ist nichts bekannt. Vergebens sucht man Frauen auch unter den intellektuellen Autoritäten, die sich – wie Tertullian oder Origenes – ohne Amt und Würden allein durch ihre Gelehrsamkeit einen Namen machten. Doch müssen an ihrem intellektuellen Austausch auch Frauen beteiligt gewesen sein (S. 183). 

 

Sexualität 

Die frühen Christen gelten als sexualfeindlich, und das in einem entspannten, den körperlichen Freuden aufgeschlossenen Umfeld. Hier rückt Leppin einiges zurecht: Wenn die damalige Gesellschaft libertinär war, dann entsprach das nicht dem, was wir heute tolerieren würden. Viele Familien hielten Sklaven als Hauspersonal; diese hatten dem Hausherrn auch sexuell verfügbar zu sein. So konnte er sich ungestraft an Jugendlichen vergreifen, oder auch an Kindern. Von der Ehefrau wurde erwartet, dass sie das widerspruchslos hinnahm. Gebar sie ihrem Mann ein Kind, für das er nicht sorgen wollte, ließ er es aussetzen. Solche Säuglinge starben oder wurden aufgegriffen und für ein Leben in der Sklaverei großgezogen.

Das ist der gesellschaftliche Kontext, in dem Christen jegliche außereheliche Sexualität strikt ablehnten, die radikalsten unter ihnen sogar Sexualität überhaupt. Wenn also Paulus gegen Homosexualität wetterte, dann hatte er möglicherweise im Sinn, was wir heute als sexuellen Missbrauch minderjähriger Schutzbefohlener bezeichnen würden.

Zur Abtreibung finden sich unter den frühen Christen nur ablehnende Stimmen. Der Priesterzölibat war nach neueren Forschungen bereits in den ersten Jahrhunderten weit verbreitet.  

 

Heilserwartungen 

„Das Reich Gottes ist mitten unter euch“: Ob Jesus mit diesem Wort dazu ermuntern wollte, nicht ständig auf das Jenseits fixiert zu sein, sondern die Erfüllung bereits in diesem Leben zu erwarten? Wenn ja, sind ihm die frühen Christen darin nicht gefolgt. Sicherlich: Mit ihrem sozialen Engagement haben sie das Leben vieler Armer bereits im Diesseits spürbar verbessert. Dies taten sie freilich ohne an den gesellschaftlichen Zuständen, insbesondere an der Sklaverei, grundsätzlich zu rütteln – Einheit in Christus hin oder her. Und ihre Hauptsorge war eben doch, einst vor dem Jüngsten Gericht zu bestehen, um in der kommenden Welt glücklich zu werden. Deren Anbruch erwartete man im Fall einer Wiederkehr Christi noch zu Lebzeiten bereits auf dieser Erde. Es ging um alles: Die ewige Verdammnis ist keine Erfindung des Mittelalters. Die Hoffnung, am Ende könnten doch noch alle Seelen zur Versöhnung mit Gott gelangen, war freilich noch nicht ganz vom Tisch. 

 

Wunder 

Haben die frühen Christen an Wunder geglaubt? „Nicht wirklich“, habe ich einmal argumentieren hören, „schließlich hat man damals die Naturgesetze noch nicht gekannt. Also hat man auch nicht Verstöße gegen diese Gesetze als Wunder einstufen können.“ Ich bin anderer Meinung. Natürlich wussten die Menschen auch damals schon, dass man nicht über das Wasser gehen kann, dass man nicht mit fünf Broten und zwei Fischen 5000 Menschen satt bekommt und dass man Tote nicht auferwecken kann. Wo so etwas dennoch berichtet wurde, da war etwas geschehen, was eigentlich unmöglich ist – ein Wunder eben.

Doch haben die frühen Christen im Ernst die Wunderberichte der Evangelien für bare Münze genommen? Dazu schreibt Leppin (S. 79f): Viele Zeitgenossen rechneten mit Wundern und ließen sich davon beeinflussen. Aus seiner Perspektive als Historiker waren sie deshalb „soziale Tatsachen“: „Es wäre aus zeitgenössischer Sicht misslich gewesen, hätte Jesus keine Wunder wirken können […].“ Wunder abzulehnen, mag heute als aufgeklärt gelten. Aber den Wunderglauben der frühen Christinnen und Christen zu unterschlagen – das hat mit Aufklärung nichts zu tun. 

 

Gewalt 

Im frühen Christentum finden sich pazifistische Tendenzen, doch gab es auch christliche Soldaten. Wo ihre Gewissenskonflikte überliefert sind, geht es nie um das Töten, sondern um den Zwang, an „heidnischen“ Ritualen teilnehmen zu müssen.

Als Kaiser Konstantin 312 für einen militärischen Sieg ausgerechnet den Christengott verantwortlich machte, war die Überraschung unter vielen Christen groß: Was gingen ihren Gott die militärischen Auseinandersetzungen der Staatsmacht an? Doch als Konstantin die Verfolgung der Christen für beendet erklärte und ihre Religion aufwertete, da waren die pazifistischen Tendenzen bald vergessen. Die ab 313 gewährte Religionsfreiheit, lange eine christliche Forderung, erwies sich bald als lästig; ab 380 musste man darauf keine Rücksicht mehr nehmen. Rasch lernten die Kirchenoberen, die staatlichen Machtinstrumente zur Unterdrückung Andersdenkender einzusetzen. Wie vielfältig die Christenheit trotzdem blieb: Das lässt sich in Leppins Werken über die Spätantike nachlesen. 

 

Gregor Bauer