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Christen heute, September 2019

Globaler Klimaprotest am 20. September 2019
Klima: ein Schritt vor dem Abgrund

„Wenn alle wüssten, wie ernst die Lage ist und wie wenig tatsächlich getan wird, würden alle kommen“, sagte Greta Thunberg am 8. September 2018 in Stockholm bei einer Demonstration für Klimaschutz.

 

Wie ernst ist die Lage?

Den Klimawandel zu verhindern – dafür ist es bereits zu spät: Nie zuvor gab es weltweit eine derartige Häufung von Wetter-Extremen. Ein Rekord-Sommer jagt den anderen; Jahrhundert-Unwetter sind Normalität geworden. Das Klima, in dem die Älteren von uns aufgewachsen sind, ist Geschichte: Die Heißzeit hat begonnen. Noch nie in zweitausend Jahren hat sich die Erde so schnell erwärmt wie in den vergangenen Jahrzehnten. Und sie erwärmt sich immer schneller.

Das ist erst der Anfang. Wenn wir so weitermachen wie bisher, erwärmt sich die Erde um etwa 4,5° C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Dann werden weite Teile des Planeten unbewohnbar. Die Ernten werden nicht mehr ausreichen, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Ein Massensterben wird die Folge sein, das die Dimensionen der letzten beiden Weltkriege in den Schatten stellt.

 

Was wurde bisher getan?

2016 haben sich in Paris 197 Staaten der Erde auf das Ziel geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2° C zu begrenzen. Denn ab einer Erwärmung von etwa 2° C würde das Klima kollabieren und die Temperatur unkontrollierbar weiter ansteigen. Den Anstieg auf 1,5° C zu begrenzen, würde deshalb hunderte Millionen von Menschenleben retten.

Aber: Ziele zu formulieren, ist eine Sache – sich verbindlich auf konkrete Maßnahmen zu verpflichten, eine andere. Zwar sind die Staaten in Paris Verpflichtungen eingegangen. Die reichen aber nur für eine Begrenzung der Erderwärmung auf 3,2° C. Dann würden die Trockenperioden in Australien, Pakistan, den westlichen US-Staaten, Zentralamerika und der Karibik unerträglich lang. In Südeuropa würde es praktisch überhaupt nicht mehr regnen. Hunderte Küstenstädte würden in den Meeresfluten untergehen, darunter Miami, Shanghai und Hongkong.

Doch selbst diese ungenügenden Versprechen von Paris haben die Staaten gebrochen. Von den 195 Staaten, die das Abkommen bisher ratifiziert haben, halten gerade einmal fünf ihre Verpflichtungen ein. Seit 2016 sind die globalen Treibhausgas-Emissionen weiter angestiegen. Fast alle Staaten haben daran Anteil, am meisten China, Indien, die Europäische Union und die USA.

Paris hat also bisher unter dem Strich nichts gebracht. Darin unterscheidet es sich nicht von den Abkommen davor. Seit die Bedrohung durch den Klimawandel erkannt wurde, hat sich netto nichts verbessert – im Gegenteil: Die Hälfte der CO2-Emissionen, die die Menschheit jemals produzierte, entstand in den letzten 25 Jahren (Wallace-Wells S. 67). Tendenz steigend. Seit 2000 hat sich der Kohleverbrauch in der Energiegewinnung weltweit nahezu verdoppelt.

Diese ungeheure weltumspannende Dynamik muss sofort gestoppt, das Ruder herumgerissen werden, wenn die Erde ein lebenswerter Ort bleiben soll. Herkulische Aufgaben also für die Politikerinnen und Politiker. Die haben sehr wohl verstanden. Sie haben großartige Rituale und Gesten entwickelt, um ihre Betroffenheit und globale Verantwortung eindrucksvoll zu bekunden. Aber sie haben sich noch nicht umgedreht – schon tun sie das exakte Gegenteil von dem, was sie eben versprochen haben.

Auch wir Verbraucherinnen und Verbraucher lassen es bisher bei schönen Worten bewenden. Zwar beginnen viele, sich über ihr Verhalten Gedanken zu machen. Aber die Zahl der Flüge steigt weiter; überdimensionierte Autos mit Verbrennungsmotor verkaufen sich weiter prächtig. Dabei läuft die Zeit ab: Höchstens drei Jahre bleiben uns noch, um den Anstieg der Treibhausgas-Emissionen umzukehren, wenn wir die Ziele des Pariser Abkommens umsetzen wollen. Das sagte Greta Thunberg mit Berufung auf Klimaforscher bereits am 8. September 2018. Ein Jahr ist also schon abgelaufen. Ein Jahr, in dem die Emissionen weiter gestiegen sind.

 

Und wenn der Klimawandel ein Fake ist?

Wer heute noch an der Realität des menschengemachten Klimawandels zweifelt, ist entweder uninformiert oder Opfer der Desinformationskampagnen, die von Lobbyisten der Fossilindustrie mit enormem finanziellem Aufwand betrieben werden. Lesen Sie seriöse Medien, sei es „Bild der Wissenschaft“, Wikipedia, Spiegel, Zeit, FAZ, Süddeutsche Zeitung oder Bücher wie das 2019 erschienene „The Uninhabitable Earth“ des Wissenschafts-Journalisten David Wallace-Wells. Sie alle berichten von dem einhelligen Konsens der Klimaforschung: Der Klimawandel ist Tatsache, und er ist von Menschen gemacht. Dabei verweisen sie auf Studien, Forschungsinstitute, wissenschaftliche Fachzeitschriften sowie auf Institutionen wie den Weltklimarat IPCC oder die Vereinten Nationen. Wer sich überzeugen will, kann diesen Hinweisen nachgehen.

Fridays for Future handelt in direkter Abstimmung mit hochkarätigen Klimaforscherinnen und -forschern. Greta Thunberg hält keine Rede, ohne vorher jede Aussage von ihnen überprüfen zu lassen.

Aber zugegeben: Dass Annahmen der Klimaforscher sich später als falsch erwiesen haben, ist durchaus vorgekommen. Nur hat sich dann meistens herausgestellt, dass die Realität noch schlimmer ist als vorhergesagt. So schmilzt das grönländische Eis schneller als vorausberechnet. Eisalgen verdunkeln immer mehr grönländische Gletscher, bis vor kurzem hatte das noch niemand auf dem Schirm. Nicht vorhergesehen hatten die Forscher auch den dramatischen Anstieg des gefährlichen Klimagases Methan in der Atmosphäre während der letzten Jahre. Tauende Permafrostböden setzen riesige Mengen Methan und CO2 frei. Sie tauen in einem Tempo, das die Forscher überrascht und entsetzt. Und niemand weiß, wie viel CO2 das Meer noch aufnehmen wird. Ist es gesättigt, verschlechtern sich die Klimaprognosen dramatisch weiter.

Als der Klimavertrag von Paris geschrieben wurde, nahm man noch an, dass der Antarktische Eisschild stabil bleiben würde; inzwischen weiß man, dass er schmilzt. Auch deshalb haben die Vertragsunterhändler zu optimistisch gerechnet. Die Staaten werden gewaltig nachbessern müssen. 

 

Können wir nicht warten, bis wir bessere Technologien haben?

Dann wird es zu spät sein. Es gibt Entwicklungen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen, sobald sie einmal losgetreten sind. Auch nicht durch „negative Emissionen“, also den Entzug schädlicher Treibhausgase aus der Atmosphäre. Einmal aus dem Gleichgewicht geraten, werden viele natürliche Systeme nie mehr sein wie vorher. Deshalb könnte beispielsweise der Monsunregen, auf den Indien so angewiesen ist, eines Tages Geschichte sein. Und was den Amazonas-Regenwald angeht, der heute ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen aufnimmt: Der wird wahrscheinlich vollständig verschwinden. Denn die staatlich geförderte Abholzung führt dazu, dass es dem Rest des Amazonas bald an Niederschlägen fehlt.

Über die Technologien, die wir zur Abwendung der Klimakatastrophe brauchen, verfügen wir bereits. Das gilt freilich nicht für die meisten Verfahren des „Geo-Engineering“, wie Düngung der Meere oder Platzierung riesiger Spiegel im Weltall. Deren Nebenwirkungen haben wir nicht im Griff. Die angeblich wirkungsvollste dieser Methoden ist künstliche Luftverschmutzung mit Schwefeldioxid. Der kühlende Effekt würde jedoch wahrscheinlich vollständig aufgehoben durch klimaschädliche Nebenwirkungen wie ausgedörrte, brennende Wälder. Nicht zu reden von der Luftverschmutzung, die Zehntausende das Leben kosten würde. Einmal begonnen, müsste die Methode regelmäßig erneuert werden. Wie verzweifelt muss eine Menschheit sein, die solche Frankenstein-Methoden diskutiert? Andere Geoengineering-Techniken sind nicht realisierbar, kaum finanzierbar oder ebenfalls voller unkalkulierbarer Risiken.

Sinnvoll wäre die Aufforstung von Wäldern. Im Moment geschieht freilich das Gegenteil: Abholzung ist verantwortlich für 12 % der CO2-Emissionen, Waldbrände gar für 25 % (Wallace-Wells S. 77). Dass Wälder in absehbarer Zeit im erforderlichen Umfang aufgeforstet und vor der Brandgefahr geschützt werden, ist bisher nur eine theoretische Möglichkeit.

 

Vielleicht trifft es uns in Deutschland nicht so schlimm?

Einen Vorgeschmack haben wir diesen und letzten Sommer bekommen. Heftige Stürme werden auch hierzulande zunehmen. Wenn die Emissionen nicht bald sinken, wird sich die Zahl der Hitzetage in Deutschland verdreifachen. Die Sommer werden trocken, die Winter verregnet sein. 

Aber in der Tat: Andere Länder wird es härter treffen. Besonders schlimm Länder, in denen es heute schon sehr heiß ist, wie Indien und Pakistan. Am meisten werden die Länder leiden, die am wenigsten zur Klimaerwärmung beigetragen haben: Die ärmsten Länder, heute schon heiß, werden sich am meisten aufheizen. Die Länder also, in denen sich die Menschen am wenigsten vor der Hitze schützen können. Und Australien.

Die Vereinten Nationen rechnen für das Jahr 2050 mit 200 Millionen Klima-Flüchtlingen, im schlimmsten Fall gar mit einer Milliarde oder mehr Elenden, die keine Wahl haben als zu kämpfen oder zu fliehen. Wenn wir also nichts gegen den Klimawandel unternehmen und uns gleichzeitig gegen Flüchtlinge abschotten, wie die AfD sich das vorstellt: Dann könnte es auf lange Sicht auf eine zweigeteilte Welt hinauslaufen. In den bewohnbaren Regionen leben die Privilegierten hermetisch abgeriegelt in klimatisierten Räumen. In den unbewohnbaren Regionen sterben die Ausgestoßenen, sich selbst überlassen. Und es könnte noch schlimmer kommen: Eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist eine Erwärmung, bei der eines Tages die gesamte Erde unbewohnbar wird.

 

Besteht noch Hoffnung?

Die Klimakrise ist gelöst, sagt Greta Thunberg. Alle Fakten und Lösungen, die wir brauchen, um den Klimakollaps zu verhindern, liegen auf dem Tisch. Allerdings hat niemand alleine sämtliche Hebel in den Händen: Jedes Land, jede Branche, jede Institution, jedes Unternehmen, jedes Verkehrsmittel und so weiter hat nur einen Anteil am Klimawandel, der geringer ist als der Anteil aller anderen zusammengenommen. Sollen also die anderen anfangen! So können wir alle die Verantwortung hin- und herschieben.

„Ob ich das Klima schone oder nicht, ändert doch nichts am Klimawandel.“ So könnten Sie argumentieren. Aber wahrscheinlich tun Sie das nicht. Wahrscheinlich denken die meisten anders. Sonst würde unsere Demokratie nicht funktionieren. Denn was heißt das: wählen gehen? Es bedeutet, dass ich meine Stimme abgebe, obwohl meine einzelne Stimme am Wahlergebnis nichts ändern wird. Warum wähle ich trotzdem? Weil ich weiß, dass die Demokratie nicht funktionieren würde, wenn niemand wählen ginge. Ich will aber in einer Demokratie leben. Also gehe ich wählen.

Genauso ist es mit dem Klimawandel: Mein winziger Beitrag ändert im Weltmaßstab nichts. Aber ich weiß, dass die Klimakatastrophe kommt, wenn alle so denken und deshalb niemand seinen Beitrag leistet. Ich will aber nicht, dass die Katastrophe kommt. Also leiste ich meinen Beitrag.

Würden Sie AfD wählen, nur so zum Spaß, weil Ihre Stimme sowieso keinen Unterschied macht? Bestimmt nicht. Ich auch nicht. Aber Klimakatastrophe wählen wir, Tag für Tag?

 

Lasst uns anfangen!

Lassen Sie uns Klimaschutz wählen, und lassen Sie uns heute damit anfangen. 77 Klimaschutz-Tipps aus allen Bereichen des Alltags finden Sie auf www.nabu.de unter Umwelt und Ressourcen > Klima & Luft.

Alle Lösungen, die wir brauchen, um den Klimakollaps zu verhindern, stehen bereit, und sie sind keineswegs zu teuer oder aus anderen Gründen unzumutbar. Die Verhinderung der Klimakatastrophe ist möglich, wenn wir jetzt handeln. Das einzige was fehlt, ist der politische Wille. Er fehlt tatsächlich, es ist nicht zu fassen!

Jetzt ist die Zeit, diesen Willen zu zeigen und einzufordern. Steigen wir um auf klimaschonende Technologien, wo möglich. Leisten wir Verzicht, wo nötig. Machen wir den Politikern klar, dass sie jetzt liefern müssen. Und geben wir keine Ruhe, bis sie es tun.

Am 20. September ist internationaler Protesttag und Auftakt einer Aktionswoche für Klimaschutz. Alle Generationen sind eingeladen. Infos gibt’s unter www.fridaysforfuture.de.

 

Quellen u. a.: David Wallace-Wells (2019): The Uninhabitable Earth. A Story of the Future; Bild der Wissenschaft Nr. 7/2019 (Titelgeschichte Klimawandel); Spiegel Nr. 27/2019; Wikipedia-Artikel „Globale Erwärmung“; Greta Thunberg (2019): Ich will, dass ihr in Panik geratet! Meine Reden zum Klimaschutz; Beiträge aus faz.net, sueddeutsche.de und zeit.de

 

Gregor Bauer