Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Christen heute, Juni 2015

Verhindern wir den Klimakollaps?

Wir sind im Begriff, die Erde in eine Klima-Hölle zu verwandeln. Jetzt schon – bei einer Erderwärmung um 0,8 Grad – hat sich die Zahl der Unwetterkatastrophen gegenüber den 70er-Jahren mehr als verfünffacht. Die Erwärmung um zwei Grad, die die Politiker als Ziel anvisieren, bedeutet das Todesurteil für etliche Inselstaaten sowie für große Teile des südlichen Afrika. Bei über zwei Grad entgleitet uns Menschen die Kontrolle über den weiteren Anstieg. Zurzeit rasen wir auf eine Erwärmung von vier Grad zu. Noch in diesem Jahrzehnt müssen wir diese Entwicklung stoppen. Sonst können wir nicht mehr verhindern, dass in der Natur unwiderruflich verhängnisvolle Kippschalter umgelegt werden. Dann werden Ernteausfälle und Zusammenbrüche der Wasserversorgung ein Ausmaß annehmen, das mit einer friedlichen und zivilisierten Weltgemeinschaft unvereinbar ist.

 

Keine Ausflüchte!

Nichts wäre verhängnisvoller, als die Augen vor dieser Realität zu verschließen. Naomi Klein schneidet deshalb in ihrem neuen Buch („Die Entscheidung“) alle Fluchtwege ab: Vielleicht ist ja alles halb so schlimm? Dem widersprechen 97 Prozent aller aktiven Klimaforscher. Vielleicht kommt ja noch ein technisches Wunder, ein CO2-freier Treibstoff etwa oder ein gigantischer CO2-Weltsauger? Wenn er kommt, kommt er zu spät. Ob uns wohltätige Milliardäre aus der Patsche helfen? Aus freien Stücken werden sie den tödlichen Raubbau an der Natur nicht stoppen, dem sie ihre Milliarden verdanken. Rettet uns Geo-Engineering, also technische Eingriffe in die Kreisläufe der Natur? Die grauenhaften Nebenwirkungen dieser grässlichen Hybris würden unsere Erde vollends verpfuschen.

 

Eine Baustelle der Politik

Was also tun? Auf Flugreisen verzichten, weniger Fleisch essen, Glühbirnen auswechseln? Solche individuellen Beiträge, sagt Naomi Klein, sind richtig, doch die Rettung bringen sie nicht. Nicht allein. Das zu erwarten, wäre so absurd, wie einen Staatshaushalt aus Spenden finanzieren zu wollen statt aus Steuern. Zum Gemeinwesen müssen alle beitragen, die es können. Zum Klimaschutz auch. Nur dann verpufft der persönliche Beitrag des Einzelnen nicht wirkungslos. Die Mitwirkung aller aber zu organisieren, ist Aufgabe der Politik.

 

Die Fossilindustrie mauert

Die Politik also ist in der Pflicht, den Klimakollaps zu verhindern. Was sie bisher dafür getan hat, war unterm Strich wertlos bis kontraproduktiv. Es gibt Erfolge, den Ausbau der erneuerbaren Energien etwa, doch die sind noch immer konterkariert worden durch Rückschläge, beispielsweise neue Kohlekraftwerke. Warum ist das so? Weil, so Klein, die Politiker den Konflikt scheuen mit denen, die den lukrativen Weg in die Katastrophe wollen.

Schneller, höher, weiter: Von politischen Einschränkungen weitgehend unbehelligt, betreiben die internationalen Konzerne einen immer hemmungsloseren Raubbau an unseren Lebensgrundlagen. Sie produzieren ihre Waren, wo es am billigsten ist, verkaufen sie, wo es am lukrativsten ist, zahlen ihre Steuern, wo sie am niedrigsten sind. Den Treibstoff für diese klimaschädliche Weltordnung – Öl, Kohle, Gas – liefert die Fossilindustrie. Ihr müssen wir das Handwerk legen, wenn wir die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzen wollen. Denn das ist nur möglich, wenn die Fossilindustrie 80 Prozent ihrer extrem lukrativen Rohstoffe im Boden lässt. Deshalb zieht sie alle Register, um wirksamen Klimaschutz zu verhindern. Sie investiert viele Milliarden Dollar in Desinformationskampagnen, diffamiert Klimaschützer, lässt kübelweise Hassmails an Klimaforscher versenden, besticht Politiker und Umweltschutzverbände.

Mit Erfolg: Sogar Fracking wird bereits als klimaschonende Technologie gehandelt. Dabei ist gefracktes Gas so klimaschädlich wie Kohle.

 

Geld und Technik fürs Klima und gegen die Armut

Ernsthafte Klimapolitik, so Naomi Klein, ist für viele Mächtige in der Wirtschaft auch deshalb ein rotes Tuch, weil sie verstanden haben: Da würde Geld umverteilt werden, viel Geld. Wenn es wahr ist, dass die reichen Industrienationen die CO2-Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre bereits bis zum Anschlag ausgereizt haben: Dann müssen die Reichen ab sofort die Entwicklungsländer in einer völlig anderen Größenordnung unterstützen als bisher. Denn allein schaffen es die Armen nicht, ihre Not zu überwinden ohne fossile Energie – sprich: ohne die Welt, wie wir sie kennen, zu zerstören. Klimapolitik geht deshalb nicht ohne massive Entwicklungshilfe, die darauf hinarbeitet, fossile Rohstoffe schnellstmöglich überflüssig zu machen. Der Fossilindustrie würde dabei nicht nur ein Riesengeschäft entgehen: Sie müsste ihren eigenen Ausschluss auch noch mitfinanzieren. Denn nach dem Verursacherprinzip würden ernsthafte Klimapolitiker sie zur Kasse bitten für die Klimaschäden, die sie bisher angerichtet hat – so lange sie noch zahlungsfähig ist.

Für die Fossilindustrie wäre dieses Szenario ein Alptraum. Aber anders lässt sich der Klimakollaps nicht verhindern. Das ist kein Win-Win-Thema. Die Menschheit kann nur gewinnen, wenn die Fossilindustrie verliert. Die weiß das zu verhindern – noch.

 

Die Wut wächst

Die Menschen wachen erst auf, wenn es weh tut? Es tut weh. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Fossilindustrie die bevölkerungsreichen Gebiete der Industriestaaten schonte. Inzwischen macht ihre Gier vor nichts mehr halt: Fracking ist im Staat New York und in den Hinterhöfen von Los Angeles angekommen. Die Bohrungen bedrohen die Trinkwasserreservoirs vieler Millionen. Doch die Menschen warten nicht, bis auch an ihren Stränden das gefrackte Öl schaukelt, bis sich auch in ihrer Heimat die Krebsfälle häufen, bis auch bei ihnen zuhause aus dem Wasserhahn eine entzündliche Brühe blubbert. Sie wehren sich.

Auch die Veränderungen des Klimas tun heute schon weh. Anhaltende Dürren zerstören Existenzen, Überschwemmungen vernichten Häuser und Ernten, Wirbelstürme machen ganze Städte dem Erdboden gleich. Daher verfehlen die Desinformationskampagnen der Fossil-Lobby zunehmend ihre Wirkung. Auch in den USA wächst die Zahl der Menschen wieder, die sich der Realität des Klimawandels stellen.

 

Klimagipfel 2015: Diesmal gilt es

Seit der Lektüre von Kleins „Entscheidung“ habe ich wieder einen Funken Hoffnung, dass wir es vielleicht doch noch schaffen, den Klimakollaps abzuwenden. Technisch und finanziell wäre es möglich. Woran es bisher noch fehlt, ist der politische Wille. Der, so Naomi Klein, wird nicht von oben kommen. Stattdessen setzt sie auf massenhafte Proteste einer weltweit vernetzten Klimaschutzbewegung.

Ab dem 30. November 2015 wird auf dem Klimagipfel in Paris über ein verbindliches Klimaschutz-Abkommen für 194 Staaten verhandelt. Was wir brauchen: Ausstieg aus der Kohle, Fracking-Verbot, Ausbau der erneuerbaren Energien, kein Investitionsschutz für Klimaverbrechen, Gebäudedämmung, Schutz der Wälder, ökologische Entwicklungshilfe. Und weltweit rechtsverbindliche Verpflichtungen zur Reduktion der CO2-Emissionen – in dem Maß, das erforderlich ist, um den Klimakollaps zu verhindern.

Die Fossil-Lobby wird in Paris wieder alles daransetzen, substanzielle Ergebnisse zu vereiteln. Diesmal darf sie damit nicht durchkommen. Die nächsten Monate könnten fürs Weltklima entscheidend sein. Wer sich engagieren will, kann sich hier in ein breites gesellschaftliches Bündnis einklinken: www.klima-allianz.de.

Naomi Klein: Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima. S. Fischer Verlag, März 2015

Gregor Bauer