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Christen heute, September 2014

Fälschen wir unsere Quellen?

Sie ist sehr einladend, die Botschaft, die uns heute in unserer Alt-katholischen Kirche verkündet wird: Unser Gott liebt uns bedingungslos so, wie wir sind. Vorbei die Zeiten, in denen man uns mit der ewigen Verdammnis Angst einjagte. Da ist niemand mehr, der uns auf einen allein seligmachenden Glauben einschwören will. Niemand stachelt uns mehr gegen Andersgläubige auf. Darüber freue ich mich. Doch frage ich mich auch: Ist es das, was in unseren Quellen steht? Nun, für die Botschaft von Liebe, Friedfertigkeit und Mitmenschlichkeit finden wir in der Bibel durchaus vielfältige Belege. Aber da stehen auch Dinge, die ganz und gar nicht in dieses Bild passen.

 

Schattenseiten …

In der Bibel ist die Rede von einem Gott, der fast alle Erdbewohner in einer gewaltigen Flut ersäuft. Der einem Vater befiehlt, den eigenen Sohn zu schlachten. Der das gesamte ägyptische Volk für die Herzensverhärtung eines einzigen Mannes, des Pharao, in Mithaftung nimmt und bestialisch bestraft. Der den Israeliten bei der Landnahme Kanaas einen Krieg befiehlt, der nach unseren heutigen Maßstäben nichts anderes ist als Völkermord und ethnische Säuberung. Dass dieser Krieg tatsächlich gar nicht so stattgefunden hat, wie er in der Bibel steht, ändert nichts an der schrecklichen Tendenz des Erzählers: Er verherrlicht Völkermord als Gottesdienst.

Und wie steht es um den Jesus der Evangelien? Ja, Barmherzigkeit und Liebe sind für ihn zentral; ja, er lehnt Gewalt konsequent ab. Und doch droht auch er immer wieder mit der Hölle, zeigt sich verständnislos gegenüber den Menschen, die seine Botschaft nicht annehmen wollen (Mt 11,20). In heutigen Begriffen gesprochen: Auch der Jesus der Evangelien zeigt Züge von Fanatismus und Intoleranz.

Und so geht es weiter. Wer sich die Mühe macht, die Bibel bis zu Ende zu lesen, wird in den letzten Sätzen der Offenbarung mit einem beklemmenden Fluch entlassen (Offenbarung 22,18f).

 

… und wie wir damit umgehen

Was stellen wir nun an mit diesen unangenehmen Seiten unseres Erbes? Ich fühle mich durchaus erleichtert darüber, dass diese Zumutungen in unseren Gottesdiensten kaum noch vorkommen. Aber unterschlagen dürfen wir sie nicht. Das wurde mir besonders deutlich, als ich an meinem letzten Buch gearbeitet habe. Denn darin geht es neben der biblischen auch um die klassische Antike. Nun kann ich aber nicht auf der einen Seite Aristoteles seine Tierversuche und die Kriegsgräuel seines „großen“ Schülers Alexander vorhalten, auf der anderen Seite aber die Grausamkeiten der Bibel unter den Teppich kehren („Der Weise und sein Schatten. Sinnstifter der klassischen und biblischen Antike“. Leseprobe unter www.gregorbauer.com).

Während der Arbeit an diesem Buch bin ich sensibler geworden für die Gefahr, dass wir unsere Quellen umdeuten oder umschreiben könnten, bis sie uns ins Konzept passen. Bei der „Bibel in gerechter Sprache“ scheint mir das geradezu Programm zu sein. Wer sich darüber eine eigene Meinung bilden will, kann in der Einleitung zu dieser Übersetzung oder auch in derWikipedia ihre Grundsätze nachlesen. Sie führen dazu, dass der unangenehme jüdisch-frühchristliche Konflikt aus den Jesus-Worten der Evangelien herausoperiert wird. Und der alttestamentarische Gottesname wird so übersetzt, als habe der liebe Gott seit jeher nichts offenbart, ohne vorher seine Gleichstellungsbeauftragte um Textfreigabe zu bitten.

Nun will aber auch die „gerechte“ Bibel die sozialen Realitäten von damals nicht verschleiern. Deshalb gibt es auch in ihr Stellen, an denen deutlich wird: Die biblischen Zeiten waren durchaus patriarchalisch. Bestimmt kann die feministische Theologie zu unserem Bild der biblischen Kultur wichtige Korrekturen beitragen: auf Rechte hinweisen, die auch damals Frauen geschützt und gefördert haben; Übersetzungsfehler benennen, die Fehlentwicklungen späterer Zeiten in die Bibel hineintragen; Frauengestalten hervorheben, die selbstständig gehandelt und sich Respekt verschafft haben. Aber es bleibt doch der Gesamteindruck von der biblischen Gesellschaft als einer patriarchalischen. Und was Jesus selbst angeht: Wie fortschrittlich auch immer sein Umgang mit Frauen gewesen sein mag – als er den Kreis der Zwölf berief, hatte er die feministische Agenda offensichtlich nicht auf dem Schirm. Die Zwölf waren ausnahmslos Männer.

Angst vor einem drohenden Gott, Patriarchat, Intoleranz, Gewalt, Diskriminierung: Diese hässlichen Seiten unseres religiösen Erbes können wir nicht einfach als späte Verirrungen beiseite schieben, die mit den Ursprüngen nichts zu tun haben. Wir sollten sie überall dort benennen, wo sie auftreten. Auch im Alten Testament. Wenn wir das Alte Testament mit Rücksicht auf den jüdisch-christlichen Dialog wie ein rohes Ei behandeln, während wir gleichzeitig – zu Recht – dem Mittelalterseine Grausamkeiten ungeschminkt vorwerfen, entsteht ein schiefes Gesamtbild. Ich glaube übrigens nicht, dass das dem jüdisch-christlichen Dialog dienlich wäre: Wir werden doch nicht den Juden die Fähigkeit zum kritischen Umgang mit ihren Quellen absprechen?

 

Geschichte: Wollen wir sie noch?

Wenn aber unsere jüdisch-christlichen Quellen so problematisch sind: Warum sollen wir uns überhaupt noch auf sie beziehen? Warum erfinden wir nicht einfach eine neue Religion, die frei ist vom Ballast der Geschichte? Meine persönliche Antwort ist: Ich liebe es, in Formen zu leben, die mich auf Tuchfühlung bringen mit den Menschen, die vor mir gewesen sind; Lieder zu singen, die Generationen vor mir Menschen zu Tränen gerührt haben; Gebete zu sprechen, die Jahrtausende vor mir gebetet worden sind.

Ich will Geschichte. Das heißt für mich aber auch: Ich will, dass die Geschichte so zu mir sprechen darf, wie sie nun einmal war. Also manchmal eben auch patriarchalisch und brutal.

Erinnern wir uns: Auch in unserem Land war Homosexualität noch in den 1970er-Jahren strafbar. Auch in unserer Kirche sind Frauen erst seit 1994 zum Priestertum zugelassen. Was machen wir mit den Zeiten davor? So ist das nun mal, wenn man Dinge verbessert: Man bekommt es mit einer Vergangenheit zu tun, in der die Dinge schlechter waren. Diese Vergangenheit lässt sich nicht glatt in das überführen, was wir Späteren erreicht haben.

Es ist schön, wenn wir uns gemeinsam für Ziele einsetzen wie die Gleichstellung der Geschlechter oder die vorbehaltlose Akzeptanz von Homosexuellen. Aber dazu gehört ja wohl nicht, dass wir einander überreden, so tun, als ob diese Ziele bereits zu biblischen Zeiten erreicht gewesen wären. Wenn wir wollen, dass die Zeiten, die von unseren Zielvorstellungen noch weit entfernt waren, authentisch zu uns sprechen, dann müssen wir es ertragen können, dass wir Dinge zu hören bekommen, die uns nicht gefallen.

Die Versuchung, alles Anstößige aus unserem Erbe zu verbannen, ist nicht spezifisch alt-katholisch. Aber kann es sein, dass wir Alt-Katholischen besonders gefährdet sind? Zu Recht sind wir stolz auf unsere Synodalität, auf die Mitbestimmung aller Gläubigen also. Aber kann diese Synodalität nicht auch dazu führen, dass wir uns für berechtigt halten, an unserem religiösen Erbe herumzudoktern, wie es uns gefällt?

Abstimmen können wir über alles Mögliche, aber nicht über unsere Quellen: Die sind, wie sie sind. Wenn wir sie ändern, fälschen wir sie. Deshalb möchte ich hier ein Wort dafür einlegen, dass unsere Quellentexte so sperrig und fremd bleiben dürfen, wie sie eben sind – auch in der Liturgie.

„In der Kirche hat die Frau zu schweigen“: Soll dieser hässliche Satz noch in der Kirche erklingen? Ich meine, ja. Ich finde es ehrlich und spannend, auch diese Tradition so ärgerlich zu uns sprechen zu lassen, wie sie ist. Natürlich müssen wir dann auch Manns und Frau genug sein, zu dieser Tradition „Nein!“ zu sagen. Aber dafür müssen wir sie erst einmal zu Wort kommen lassen. Nur dann führen wir eine lebendige Auseinandersetzung mit einem Erbe, an dem wir uns reiben können.

Für die Bemühungen um eine geschlechtergerechte Sprache in unserer Kirche gibt es gute Gründe. Wenn unseren Frauen dieses Anliegen auf den Nägeln brennt, dann muss ich als Mann das respektieren. Aber ich freue mich, wenn sie das Thema mit einem humorvollen Verständnis für die Tücken der Sprache angehen. So, wie Francine Schwertfeger es in der Mai-Ausgabe von „Christen heute“ getan hat. Auch Sprache ist ein geschichtliches Phänomen. Deshalb sollte sie der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinken dürfen. So bleibt spürbar, wo wir herkommen.

Ich freue mich, dass unsere Kirche Brücken schlägt zwischen unseren heutigen Wertvorstellungen und der alten Botschaft vom Gott der Liebe. Aber ich wünsche mir auch, dass wir immer Anlass haben werden, uns über unsere Quellen zu ärgern. Wenn ich die Wahl hätte zwischen einer Religion, die die Last ihrer Geschichte mit sich herumschleppt, und einer geschichtsentleerten Ideal-Religion: Ich würde keine Sekunde zögern und mich für die lästige Alternative entscheiden.

Gregor Bauer