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Christen heute, Mai 2021

Ist das Jenseits noch Thema?

Haben die Naturwissenschaften eine Antwort auf die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder wenigstens geben könnte?

Nun, es gibt durchaus Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler, die diese Frage beantworten. Der Astrophysiker Stephen Hawking beispielsweise hielt diese Hoffnung mit den Naturgesetzen für unvereinbar. Der Biologe Richard Dawkins hält sie angesichts der Evolutionstheorie für absurd. Und die Neurologin Kaja Nordengen lässt aus Sicht der Hirnforschung keinen Zweifel: Ohne mein Gehirn gäbe es mich nicht.

Offensichtlich gibt es also eine naturwissenschaftliche Antwort auf unsere Frage, und sie lautet: nein. Warum hoffen wir dann überhaupt noch auf ein ewiges Leben?

 

Ernüchterndes aus der Theologie

Wer sich mit dieser Frage an die Theologie wendet, muss sehr genau im Kleingedruckten nachlesen, wenn er – oder sie – eine klare Auskunft möchte. Ich habe unter anderem bei dem kürzlich verstorbenen Theologen Hans Küng gesucht, den ich aus vielen Gründen sehr schätze. In seinen Werken finden sich viele schöne Formulierungen, die zuversichtlich stimmen. Aber Küng hat auch geschrieben, dass es einen Himmel im metaphysischen Sinn nicht gibt, dass die Auferweckung Jesu nicht historisch zu verstehen ist, dass es sich dabei nicht um ein Weiterleben nach dem Tod handelt und dass die moderne Theologie die Unterscheidung zwischen einem physischen Diesseits und einem übernatürlichen Jenseits aufgegeben hat. Offenbar gibt es also auch eine theologische Antwort auf die Frage nach einem jenseitigen Leben, und auch sie ist negativ.

Aber schauen wir bei den Naturwissenschaften noch einmal genauer hin: Ist dort die Ablehnung einer übernatürlichen Dimension – man nennt diese Position „Naturalismus“ – wirklich Konsens?

 

Ein zweiter Blick auf die Naturwissenschaften

Das ist keineswegs der Fall. Der Philosoph Thomas Nagel, selbst Atheist, bestreitet, dass der Naturalismus heute unter den Forscherinnen und Forschern die vorherrschende Haltung sei. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn entwarf ein Modell wissenschaftlicher Revolutionen, das sich auch auf den Naturalismus anwenden lässt. Demnach könnte auch der Naturalismus eines Tages – um mit Karl Popper zu sprechen – als „abgelegte Theorie“ dastehen, die „einst als selbstevident galt“. Aus der ersten Liga der Quantenphysik gibt es etliche Stimmen, die fordern, über das Verhältnis von Geist und Materie neu nachzudenken. Und die Physiker, die sich mit der Feinabstimmung der Naturkonstanten beschäftigen, lehren uns: Dass wir existieren, ist unwahrscheinlicher, als mehrmals hintereinander im Lotto eine Million zu gewinnen. Naturalistinnen verweisen an dieser Stelle gern auf die – physikalisch nicht überprüfbare – Multiversen-Theorie. Demnach ist die Lebensfreundlichkeit unseres Universums doch nicht ganz so sensationell, weil es nur eines von vielen Universen ist – ein Zufallstreffer in der Lotterie des Lebens sozusagen. Aber ist dieser Erklärungsversuch wirklich überzeugender als die Annahme, dass hinter dem Wunder unserer – statistisch im Grunde unmöglichen – Existenz ein schöpferischer Geist steht, der uns erhalten kann, auch über unseren physischen Tod hinaus?

Da es also durchaus auch Transzendenz-offene Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler gibt: Wäre es da nicht naheliegend, dass die Theologie ihre Kapitulation vor dem naturwissenschaftlich argumentierenden Naturalismus noch einmal überdenkt?

 

Eine große Enttäuschung

An dieser Stelle hoffe ich, bei den Theologinnen und Theologen unter Ihnen auf kompetenten Widerspruch zu stoßen. Denn ich würde mich sehr freuen, wenn ich unrecht hätte. Schließlich war das, wovon ich nun berichten muss, eine große Enttäuschung für mich: Von Außenseitern abgesehen, lässt die Theologie die Chance, die ihr die Transzendenz-offenen unter den Naturwissenschaftlerinnen bieten, ungenutzt. Ich habe auch Küng so verstanden, obwohl er Kuhn sehr genau gelesen hat und ihn sehr klug auf seine Darstellung der Weltreligion überträgt.

Mein Eindruck ist – und ich lasse mich gern eines Besseren belehren: Ob es eine jenseitige Dimension gibt, die zwar naturwissenschaftlich nicht erfassbar, aber dennoch bereits in dieser Welt erfahrbar ist: Vor dieser Frage drücken sich die Theologinnen und Theologen entweder, oder sie sagen dazu – teilweise hinter vorgehaltener Hand – nein.

 

Gibt es Antworten aus Nahtodforschung und Parapsychologie?

Ich habe mich deshalb anderswo umgesehen, insbesondere in der Nahtodforschung und in der Parapsychologie. Dort habe ich zwar keine Beweise, aber sehr wohl Hinweise gefunden auf ein Leben nach dem Tod. Hinweise, die mich persönlich insgesamt überzeugen.

Ich kann gut verstehen, wenn andere dieselben Hinweise nicht so überzeugend finden. Was ich jedoch nicht verstehe – und hier nehme ich Küng aus, der sich insbesondere mit Nahtoderfahrungen sehr wohl auseinandergesetzt hat: Wenn Theologinnen und Theologen Nahtoderfahrungen und Parapsychologie für irrelevant erklären, ohne sich damit beschäftigt zu haben. Immerhin sind unter den Menschen, die aufgrund einer Nahtoderfahrung zum Glauben an ein Jenseits gekommen sind, auch hochkarätige Wissenschaftler. Unter den Parapsychologen finden sich sogar mehrere Nobelpreisträger.

Liebe Leserin, lieber Leser, ob Sie nun naturwissenschaftlich oder theologisch vorgebildet sind oder nicht: Wenn Sie sich über die Möglichkeit eines jenseitigen Lebens ein eigenes Urteil bilden wollen, dann lassen Sie sich nicht entmutigen. Was auch immer einzelne Naturwissenschaftlerinnen, Naturwissenschaftler, Theologinnen oder Theologen schreiben mögen, Fakt ist: Die Frage nach einer jenseitigen Dimension ist offen. Und es gibt auch für Laien einen Weg, in dieser Frage zu einem wohlbegründeten eigenen Urteil zu kommen.

 

Argumente für und gegen die Realität des Übernatürlichen

In meinem neuen Buch habe ich versucht, alle Anhaltspunkte zusammenzutragen, die für und die gegen die Realität einer übernatürlichen Dimension sprechen. Natürlich ist mir das nicht vollständig gelungen. Aber es ist doch einiges zusammengekommen aus Wissenschaft, Theologie, Nahtodforschung, dem Streit um die Parapsychologie und aus den Erfahrungen, über die Sterbebegleiterinnen berichten. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich damit dem einen oder der anderen ein wenig weiterhelfen kann. Denn auch wenn sogar einige Christinnen und Christen die Fragen nach dem Übernatürlichen und dem Jenseits für irrelevant erklären: Das sind sie nicht, so lange es Menschen gibt, die diese Fragen stellen.

 

Gregor Bauer: Das Übernatürliche – Fakt oder Fake?
Erscheinungstermin 1. Mai 2021
Weltbuch Verlag, Sarganz / Schweiz
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