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Christen heute, Februar 2019

Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Gibt es ein Leben nach dem Tod? Ja, bekennen wir sonntags im Glaubensbekenntnis. Aber mal ehrlich: Glauben Sie wirklich, was im Glaubensbekenntnis steht? Oder orientieren Sie sich nicht doch eher an dem, was Naturwissenschaftler sagen? Dann habe ich eine schlechte Nachricht für Sie: Naturwissenschaftler sagen in der Regel nein zum Jenseits.

Theologinnen und Theologen müssten dazu eigentlich ja sagen. Aber weil sie den Konflikt mit der Naturwissenschaft fürchten wie der Teufel das Weihwasser, klingt das meist eher nach einem vorsichtigen Jein. Mir ist das zu vage. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?

Wie auch immer: Warum sagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nein? Und sind sie sich wirklich einig, dass es ein Leben nach dem Tod nicht geben kann?

Fragen wir etwas konkreter, etwas weniger religiös sozusagen: Kann sich das Bewusstsein vom Körper lösen? Nur dann wäre es denkbar, dass es nach dem Tod als Seele weiter existiert.

Hirnforscherinnen und Hirnforscher halten das für unmöglich. Je besser sie die Prozesse im Gehirn kennen und ihre Auswirkungen auf das Bewusstsein, desto mehr fühlen sie sich in ihrer Überzeugung bestätigt: Das Bewusstsein ist ein Produkt von Prozessen, die im Gehirn ablaufen. Stirbt das Gehirn, so erlischt auch das Bewusstsein.

Wenn man nun aber zeigen könnte, dass sich das Bewusstsein eben doch vom Körper lösen und unabhängig von ihm existieren kann: Was dann?

 

Den Körper verlassen

Stellen wir uns folgenden Fall vor: Eine Frau wird einer schwierigen Hirnoperation unterzogen. Zuvor versetzt sie der Anästhesist in Bewusstlosigkeit. Die Augen werden ihr verbunden, die Ohren verschlossen. Ihre Körpertemperatur wird auf ungefähr 10 °C gesenkt. Das Gehirn ist nicht mehr durchblutet, in Hirnrinde und Hirnstamm ist keine Aktivität mehr messbar. Alle Hirnareale, die normalerweise an der Produktion von Erlebnissen beteiligt sind, sind inaktiv. Dennoch berichtet diese Frau später von intensiven Erlebnissen während ihrer Operation: Dass sie ihren Körper verlassen und die Operation von oben beobachtet hat. Sie berichtet Einzelheiten von der Operation, die später von ihren Ärzten bestätigt werden. Einzelheiten, die sie nur wissen kann, wenn sie ihre Operation tatsächlich miterlebt hat.

Ist so etwas schon einmal geschehen?

Berichte über solche Fälle gibt es viele. Patientinnen und Patienten erzählen davon ihren Ärzten und Pflegern, und die dokumentieren diese Erfahrungen. Am besten dokumentiert ist der Fall Pam Reynolds. Nur: Stimmen diese Berichte?

Ist diese Frage unter Wissenschaftlern geklärt? Ihrem Urteil können wir schließlich trauen. Aber Vorsicht: Wissenschaftlichkeit und Wissenschaftsgläubigkeit ist nicht dasselbe. Viele angeblich wissenschaftliche Erkenntnisse haben sich später als falsch herausgestellt. Und viele Erkenntnisse, die heute wissenschaftlich anerkannt sind, wurden von Wissenschaftlern erst einmal abgelehnt, weil sie dem damaligen Stand der Wissenschaft nicht entsprachen.

Dennoch wollen wir es wissen: Was sagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute über Berichte, nach denen Menschen ihren Körper verlassen können?

Dass Menschen das Gefühl haben können, den eigenen Körper zu verlassen: Das bezweifelt niemand. Solche Sinnestäuschen lassen sich durch Stimulationen des Gehirns im Labor erzeugen. Doch können Menschen auch tatsächlich ihren Körper verlassen? Gibt es Menschen, die außerhalb ihres Körpers Orte und Ereignisse wahrnehmen, die sie nachträglich korrekt beschreiben können?

Es gibt Ärztinnen und Ärzte, die das behaupten. Sie versichern, dass ihnen ihre eigenen Patienten Derartiges berichtet haben, und dass sie selbst deren Angaben nachträglich überprüft haben. Bloße Sinnestäuschungen seien ausgeschlossen.

Vor allem Hirnforscher wollen aber davon nichts wissen. Sie erklären derartige Berichte für irrelevant, weil nicht überprüfbar: Patienten, Ärztinnen und Pfleger könnten sich die Erlebnisse ausgedacht, ihre Berichte manipuliert oder sich schlicht getäuscht haben.

 

Wem soll ich glauben?

Da die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich nicht einige sind: Wem soll ich glauben? Wie soll ich zu einem eigenen Urteil kommen?

Ich bin kein Wissenschaftler, habe kein Labor, keinen vollständigen Überblick über die gesamte Literatur zu dem Thema, kaum Kontakte zu Menschen, die von solchen Erfahrungen berichten. Sollte ich mich nicht mit meinem eigenen Urteil zurückhalten und lieber warten, bis sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig geworden sind?

Nun, da könnte ich lange warten. Es ist nicht abzusehen, dass die Wissenschaftler in dieser Frage jemals Einigkeit erzielen. Möglicherweise stehen da nicht nur wissenschaftliche Gründe im Wege:

So könnte eine Medizinerin, die die Trennung von Bewusstsein und Körper für möglich erklärt, von der tiefen menschlichen Sehnsucht nach Unsterblichkeit getrieben – und getäuscht – sein.

So könnte andererseits aber auch ein Hirnforscher die Trennung von Bewusstsein und Körper deshalb für unmöglich erklären, weil alles andere sein sicheres Karriere-Ende bedeuten würde.

Muss ich also die Frage doch offen lassen? Ist es für mich unmöglich, zu einem eigenen, gut begründeten Urteil zu kommen? Oder gibt es nicht doch Anhaltspunkte, an denen ich mich orientieren kann, um mir meine eigene Meinung zu bilden?

 

Wann ist eine Erkenntnis sicher wahr?

Schauen wir uns an, wie es die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit halten: Wann eigentlich gilt unter ihnen eine Erkenntnis als gesichert?

Da gelten in jeder Wissenschaft andere Maßstäbe. In der Mathematik lässt sich jede Behauptung mit hundertprozentiger Sicherheit entweder beweisen oder widerlegen. In den Naturwissenschaften gelten Erkenntnisse als gesichert, wenn sie sich in Laborversuchen bestätigen lassen. Jeder Versuch muss wiederholbar sein und bei jeder Wiederholung zu exakt demselben Ergebnis führen.

In der Geschichtswissenschaft funktioniert das nicht. Denn Historiker arbeiten mit schriftlichen Quellen und archäologischen Funden, von denen jede einmalig ist. Oft ist die Quellenlage ziemlich dünn. Dann müssen die Historikerinnen mit dem arbeiten, was sie haben. Von beliebig oft wiederholbaren Laborversuchen können sie nur träumen. Sie brauchen weichere Kriterien. Sonst bräuchten sie Berichte von Zeitzeugen gar nicht erst zu lesen, und wir könnten alle Geschichtsbücher einstampfen.

 

Wahrheitskriterien für Außerkörperlichkeits-Erfahrungen?

Fragen wir weiter: Welche Kriterien sollen gelten, wenn wir untersuchen, ob sich das Bewusstsein vom Körper lösen oder gar nach dem Tod weiter existieren kann? Mathematische? Physikalische? Historische?

Hirnforscher neigen dazu, bei der Überprüfung echter Außerkörperlichkeits-Erfahrungen die Messlatte so hoch zu legen, als hätten sie es mit Mathematik oder Physik zu tun. Ein Argument dafür lautet: Wenn es echte außerkörperliche Erfahrungen wirklich gäbe, dann wäre alles falsch, was die Hirnforschung bisher herausgefunden hat. Weil aber ihre Erkenntnisse sich so überwältigend oft als wahr erwiesen haben, müssen die Berichte über solche Erfahrungen falsch sein. 

Das verstehe ich nicht: Warum sollten sämtliche Erkenntnisse der Hirnforscher falsch sein, sobald wir ein Phänomen anerkennen, das nicht in ihr heutiges Weltbild passt?

Nur weil das Weltbild der Newtonschen Physik durch Relativitätstheorie und Quantenmechanik überholt wurde, sind doch die Newtonschen Gesetze nicht falsch geworden. Es hat sich lediglich herausgestellt, dass der Bereich, in dem diese Gesetze gelten, kleiner ist, als man zuvor geglaubt hatte. Warum sollte es den Hirnforschern nicht eines Tages ähnlich ergehen?

Viele Medizinerinnen und Mediziner, die persönlich mit Berichten über echte Außerkörperlichkeits-Erfahrungen konfrontiert werden, bewerten die Dinge anders. Sie nehmen ihre Patienten ernst. Und wenn sie Artikel über derartige Erfahrungen veröffentlichen, dann möchten sie genauso ernst genommen werden, wie wenn sie über andere Erfahrungen aus ihrer beruflichen Praxis berichten.

Ich denke, diese Mediziner haben recht. Ich kann doch einen Bericht über eine Nahtoderfahrung nicht ablehnen, nur weil er sich nicht verhält wie ein physikalisches Gesetz. Dann müsste ich ja alle Berichte ablehnen.

Reservierten Theologinnen und Theologen möchte ich zu bedenken geben: Sogar die Naturwissenschaftler selbst beschäftigen sich mit Phänomenen, die mit ihrem heutigen Weltbild eigentlich nicht vereinbar sind. Sie haben ein Forschungsgebiet für solche Fälle eingerichtet, es heißt Anomalistik. Da könnten doch auch Theologen sich trauen und nicht länger einen großen Bogen machen um Berichte von Menschen, die ihren Körper verlassen haben und wieder in ihn zurückgekehrt sind mit der festen Überzeugung, dass das Leben nach dem Tod weitergeht. Dass diese Menschen die Schwelle zum Tod noch nicht überschritten hätten, ist ein schwaches Argument: Als ob ich an der Grenze zu Österreich nicht in das andere Land blicken könnte, nur weil ich die Grenze noch nicht überschritten habe.

Ich persönlich halte für glaubwürdig, was von verschiedenen Autorinnen und Autoren zusammengetragen wurde an Berichten über Nahtoderfahrungen, „Shared Death Experiences“ und Nachtodkontakte. Ich halte viele dieser Berichte für außerordentlich wertvoll, auch weil sich viel daraus lernen lässt für das Leben vor dem Tod. Und ich werde sie nicht an Kriterien messen, nach denen ich sogar die Geschichtlichkeit der Wiedervereinigung in Zweifel ziehen müsste.

 

Literatur zum Thema

Hagan, John C. u. a. (Hg.) (2017): The Science of Near-Death Experiences. Columbia, Missouri. Eine Sammlung von Artikeln über Nahtoderfahrungen, die meisten aus der Sicht aufgeschlossener Mediziner, zuerst veröffentlicht in der medizinischen Fachzeitschrift der University of Missouri.

Schweer, Wennemar (2012): Hoffnung über den Tod hinaus? Nahtoderfahrungen, Nachtodkommunikation und christlicher Glaube. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Haltung der Theologie zu Nahtoderfahrungen.

 

Gregor Bauer